ifG Forschung: Genossenschaften vs. Kartellrecht
Genossenschaftliches Wirtschaften im Spannungsfeld des Kartellrechts kurz vorgestellt.
Bestehende tatbestandliche Ausnahmen (vgl. Art. 101 Abs. 3 AEUV) des unionsrechtlichen Kartellverbots nach Art. 101 AEUV wurden durch die Rechtsprechung des EuGH um diverse tatbestandsfremde wie auch tatbestandsimmanente Ausnahmekonstellationen erweitert (entsprechend EuGH, Rs. C-67/96, Slg. 1999, I-5751 (Albany); EuGH, Rs. C-303/99, Slg. 2002, I-1577 (Wouters); EuGH, Rs. C-519/04, Slg. 2006, I-7006 (Meca-Medina)).Der sog. kartellrechtliche Immanenzgedanke bietet diesbezüglich einen – wenn auch nicht für sämtliche Fallgestaltungen – geeigneten Erklärungsansatz. Hierbei kann durch teleologische Reduktion des Kartellverbotstatbestandes (Art. 101 Abs. 1 AEUV) in den Fällen zu einer Lösung gelangt werden, in denen die Anwendung des Verbotes andernfalls zu widersinnigen Ergebnissen führen würde (vgl. Kling/Thomas, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, S. 127 ff.).
Die Forschung des ifG Marburg setzt sich mit jenem Ansatz hinsichtlich genossenschaftlicher Fallkonstellationen unter Berücksichtigung der entsprechenden Spezifika auseinander. Der kartellrechtliche Immanenzgedanke kommt in diesem Kontext besonders zum Tragen, da eine „Privilegierung“ insbesondere der Genossenschaften nicht zwingend zu Lastendes Wettbewerbsschutzes gehen muss. Wie der EuGH in seiner DLG-Entscheidung (EUGH, Rs. C-250/92, Slg. 1994, I-5641) deutlich machte, können wettbewerbsbeschränkende Genossenschaftssatzungen vom Kartellverbot nach Art. 101 AEUV ausgenommen sein.
Fragwürdig war hierbei die Satzungsbestimmung einer landwirtschaftlichen Bezugsgenossenschaft, welche den Mitgliedern die Beteiligung an anderen Formen der organisierten Zusammenarbeit, die unmittelbar mit der Genossenschaft konkurrieren, untersagte. Den Mitgliedern wird die Möglichkeit genommen sich anderweitig einzudecken, sodass eine solche Bestimmung auch dazu geeignet ist beschränkende Auswirkungen auf den Wettbewerb zu haben (EUGH, Rs. C-250/92, Slg. 1994, I-5641 Rn. 35).
Der EuGH erachtete allerdings eine derartige satzungsmäßige Beschränkung als insoweit nicht tatbestandsmäßig im Sinne der Art. 101 Abs. 1 AEUV, wie diese auf das beschränkt bleibt, was notwendig ist, um das ordnungsgemäße Funktionieren der Genossenschaft sicherzustellen und die Vertragsgestaltungsmacht der Großerzeuger zu erhalten.
Das Verbot einer solchen Doppelmitgliedschaft kann sich – trotz beschränkender Wirkung – laut Gerichtshof mithin auch positiv auf den Wettbewerb auswirken, denn der Umsatz der Bezugsgenossenschaften kann je nach der Zahl ihrer Mitglieder ein bedeutsames Gegengewicht zur Vertragsgestaltungsmacht der Großerzeuger bilden und so einen wirksameren Wettbewerb fördern (EUGH, Rs. C-250/92, Slg. 1994, I-5641 Rn. 32 ff.). Somit wird das ordnungsgemäße Funktionieren der Genossenschaft nicht zuletzt anhand des Wettbewerbsschutzes als übergeordnetes Ziel des Kartellverbotes legitimiert. Die notwendige Funktionsfähigkeit bleibt erhalten. Die spezifische Marktstruktur und den Aufbau der Genossenschaft sind dabei Gegenstand der Einzelfallbewertung.
Im Hinblick auf die rechtliche Herleitung sowie auf die Verortung kartellrechtlicher Privilegierungen respektive Ausnahmewirkungen innerhalb des Art. 101 AEUV stehen sich teils gegensätzliche Positionen gegenüber. Unter Bezugnahme der jeweils präferierten einschlägigen Rechtsprechung, kommt es zur Entwicklung diverser „Ausnahmetests“ im Schrifttum. Genossenschaften stehen somit im Spannungsfeld entsprechender Auffassungen. Die aus dem Genossenschaftsprivileg gewonnenen Grundsätze können zudem einer Konkretisierung respektive Begrenzung der Ansätze dienlich sein.
Dienstag, 16. Februar 2016 11:46
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